Das werdende Dritte
Prozesse der Entscheidung im Werk von Margret Kube
© Matthias Kampmann
"Über Malerei zu schreiben, ist immer paradox, denn ihre ganze Kunst besteht gerade darin, die Dinge den Wärtern, den Menschen das Wort
zu entziehen, um sie nur abzubilden, sichtbar und dadurch unbenennbar zu machen."
Sarah Kofman
"Es ist alles gesagt – alles ist im Bild."
Margret Kube
Jeder Setzung geht eine Entscheidung voraus. Entscheidungen verdanken sich verschiedener Beob- achtungen und Kontrollen eines Individuums, und diese lösen Fragen und
nachfolgenden Einfallsreich- tum im Auffinden von Wegen zu Lösungen hinaus. Entweder geht dem Entscheiden ein rationaler Prozess voraus, in welchem Für und Wider sorgfältig
gegeneinander abgewägt werden, oder es regiert die Intuition, lässt den scheinbaren Zufall im Prozess des weiteren Vorgehens "entscheiden". Und natürlich gibt es auch etwas
dazwischen. Vieles ist direkt bewusst, gewusst; viele Hintergründe bleiben allerdings gänzlich unerkannt. Ganz gleich jedoch, wessen Weges sich diese Entscheidung verdankt,
hat sie zur Folge, dass etwas nachher nicht mehr das ist, was es mal war. Etwa eine weiße Leinwand, die dann so und nicht anders geworden ist. Die Malerei von Margret Kube
verdankt sich eines besonderen Entscheidens. Über ihre Arbeiten sagt sie beispielsweise, diejenigen Bilder, welche sich eines spontanen, schnellen, nichtrationalen Arbeitens
verdanken, seien ihre besten. In diesem Falle steuert eben das vermeintlich Unbewusste den Weg der Entscheidungen bis hin zu den maler- ischen Setzungen, die letztlich der
Pinsel auf dem Malgrund vornimmt. Und dass vor allem recht zügig. In ihren Augen sind die rationalen Ansätze die weniger fruchtbaren. Das ist das Urteil der Künstlerin.
Dennoch bewegt sie das Gegenteil: "Ich will, dass ein Bild langsam entsteht."
Ein 70 auf 50 Zentimeter großes Hochformat zeigt in den unteren Bildpartien breite, verschieden grünliche Felder, die einen rapsgelben Untergrund überlagern. Tiefer, näher
der Grundierung noch, scheint ein mit Weiß gestrecktes Rot am linken unteren Bildrand hervor. Partien rechts daneben tendieren ins Bräunliche. Darüber, zum oberen
Bildbereich hin, schweben tiefdunkle blaue Bereiche, grün überlagert, klarer und weniger flächig mit einem Rot durchzogen. Zum oberen Bildrand schließt die Malerei links mit
gravitätischen Blaubereichen, die jedoch mit Weiß durchzogen, aufgehellt, verbreitert und überlagert sind. Durch diese Schichtungen lässt sich die Genese vielleicht
nachvoll- ziehen. Zumindest meint der Betrachter, dies zu können. Diese Quelle von Mutmaßungen entspringt aus der Art und Weise des Farbauftrags, der einerseits kräftig und
mittels breiter Bahnen Verdich- tungen erzeugt und die "Handschrift" stets sicht- und spürbar bleiben lässt. Andererseits geben auch die transparenten Bereiche, in denen die
Künstlerin die Acrylfarben luftig auszieht und den Pinsel von der Leinwand abheben lässt, darüber Auskunft: "Vom Fliegen" (2013) ist der Titel des Bildes, das auf Nessel
gemalt wurde.
Malerei beschränkt sich heute im Werk vieler Künstler natürlich nicht mehr nur auf die eine Leinwand, den Solitär, der, für sich gemalt, ohne Verbindungen zu anderen steht.
Es existieren mindestens so viele Konzepte für eine Malerei, wie es Künstler gibt. Konzeptuelle Malerei, etwa von Peter Halley, Heribert C. Ottersbach oder Philip Taffee
funktioniert allerdings anders als das Einzelbild. Viele maler- ische Positionen erbringen intellektuell gesteuerte Erzeugnisse eines Vorgangs, der Malerei über die
Bedingungen der Malerei – oder der Bildproduktion überhaupt – thematisiert und überhöht und sich einer gezielten Aufgabenstellung verdankt. Der Begriff der Konzeptualität ist
allerdings mit Vorsicht zu genießen. Ein Blick zurück: Arbeitete Jackson Pollock wirklich konzeptfrei an seinen Action Paintings? Die Farbe fiel im Malakt gemäß den
physikalischen Gesetzen unseres Planeten. Wies in dieser bewussten Tätigkeitseinschränkung nicht vielmehr das Konzept die "freie" Geste in die Schranken der quasi
vereinheitlichten Vorgehensweise? Die Rahmenbedingungen der Bildproduktion waren wie in einem Konzept geradezu fixiert. Eine Leinwand am Boden, Löcher im Farbeimer, oder –
wie in den beeindruckenden Bewegtbildern von Hans Namuth – das intuitive Steuern der Bildelemente auf Glas, aus Untersicht gefilmt. Die jüngere Kunstgeschichte ist angefüllt
mit derartigen Prozessen, die auf je verschiedene Weise das Eigene jener Positionen bei eingehender Betrachtung plausibel werden lassen, zwangsläufig erscheinen lassen.
Können wir eigentlich noch behaupten, dass es eine Malerei gibt, die nicht in irgendeiner konzeptuell gebunden ist?
Ihre Hand, teils mit drei Pinseln bewehrt, trägt die Farbe teilweise vehement auf. Geschwindigkeit ist ein prägendes Element ihrer Arbeit. Die Künstlerin mischt die Farben
direkt auf dem Bildträger. Gelb zieht Margret Kube beispielsweise ins Blau, damit sie "ihr" Grün erhält. Wenn jedoch die Dynamik gestaltgebend ist, wenn schnell entschieden
wird, wenn – während etwa Tom Waits, Pearl Jam oder Joe Strummer und The Clash gehört werden – das Gefühl entsteht, dass die rationale Kontrolle quasi ausgeschaltet ist,
zeigen sich die Bilder dennoch stringent in ihrer Anlage und der Möglichkeit des Entdeckens ihrer Entstehung. Denn die Malweise von Margret Kube ist im Mindesten von zweierlei
festlegenden, also entscheidenden Charakteristika geprägt: einerseits eine deutliche Makrostruktur, die aus Farbballungen besteht und in der Regel den planimetrischen Aufbau
des Bildträgers organi- siert. Andererseits sind es die Überlagerungen derselben durch den nur leicht aufsetzenden Pinsel, mit dem die Setzungen dynamisiert werden und mittels
einer netzartigen Mikrostruktur die Bildorga- nisation beschleunigen, durchkreuzen und abschwächen. In der Makrostruktur lassen sich bisweilen mehrere Bildzonen auf der Fläche
der Leinwand auffinden, die zusammen mit den assoziativen Titeln durchaus auf Strukturen von Landschaften verweisen, etwa einen Horizont finden lassen. Gelegentlich tauchen
zudem Figuren auf, die Reminiszenzen an Gegenständlichkeit darstellen und menschliche Körper zeigen wie in "Orientalisches Bettgeflüster" (2012) oder "Rückseite Venus" (2012).
Margret Kube schlägt somit einen dritten Weg zwischen Konzept, Rationalität und spontaner Geste ein: den einer komplexen Kombination beider Verfahren. Symptom hierfür ist etwa
ihr Weg zur Aneig- nung des Bildlichen anderer Künstler, die sie interessieren. Gerhard Richter etwa, dessen Bilder sie zeichnerisch nachvollzieht, um ihn verstehen zu wollen.
Betrachtet man diese trefflich als Studien zu bezeichnenden Arbeiten, sieht man nicht auf das, was etwa die quasi feinmalerischen Ambitionen Richters ausmachen. Es sind
Annäherungen an die Komposition, die Körperlichkeit in eigener Bildspra- che. Gewiss sind es bildliche Interpretationen, in denen Margret Kube jeweils andere Aspekte in der
Vorlage sieht und diese je anders, nämlich interpretierend ausarbeitet. Das beginnt bereits bei der Wahl des doch eher bescheidenen Papiers anstelle der Leinwand und den
Farben, die sich nicht dem "Original" anheischig machen wollen.
Die Prozesse des Setzens lassen uns immer wieder Begriffen auf den Grund gehen, die direkt mit unserem Alltag verbunden sind. Was ist Intuition? Ist sie eine Gemengelage aus
Was ist Instinkt? Den richtigen Riecher haben? Was ist Steuerung? Und wer steuert? Was ist Entscheidung? Niemals ist es ein reines Dafür oder Dagegen. So viel ist gewiss. Ist
der Wille erst dann frei, wenn er verstandesgemäß rational nach begründeten und innerhalb von nachvollziehbaren Regeln sich entfaltet? Kunstgeschichtlich geübt, können wir
heute nicht einfach die Willensbekundungen von Jackson Pollock für bare Münze nehmen. Darum geht es auch nicht – jedes Denken und Sehen hat seine Zeit. Und bei jeder
geschriebenen Zeile ist deutlich, dass dieselben eine Vorlage sind, die in einen Revisionsprozess eingeschleust werden.
Es ist für den Betrachter schwer zu entscheiden, ob nun die spontanen Bilder von Margret Kube, die vielleicht schneller entstehen, die besseren sind. Das ist auch eher eine
Frage, die sich Ausstellungs- rezensenten zu stellen haben. Interessanter ist vielmehr, dass sich die Künstlerin jene Frage stetig, also auch in der Reflexion der eigenen
Malerei und vielleicht sogar während des Malvorgangs stellt. Dies führt zur substanziellen These und Frage danach, aus welcher Position das Werk von Margret Kube entsteht.
Aus der Sichtweise des Autors ergibt sich der am Original nachvollziehbare Sachverhalt zweier unterschiedlicher Herangehensweisen, zweier Entscheidungsprozesse, die zu je
verschie- denen Ergebnissen führen. Das bedeutet gleichermaßen, dass in dieser Gegenüberstellung keine Position mehr in Reinform bezogen werden kann. Daher muss zwangsläufig
etwas Drittes entstehen.
Barbing, Januar 2014
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